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"ES IST EIN KNOTEN GEPLATZT, DIE KRISE IST ÜBERWUNDEN"

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Seit der "Großen Messe" 1998 hat Ballettchef Uwe Scholz an der Oper Leipzig keine große Choreographie mehr fertig bekommen. Doch nun ist der Knoten geplatzt: Am 22. Februar kommt ein neuer Scholz auf die Bretter, die am Augustusplatz die Welt bedeuten. Eigentlich sind es sogar zwei: Scholz choreographiert Strawinskys immer noch frische Skandalpartitur "Le Sacre du Printemps" (1913) gleich doppelt: zunächst in der Fassung für zwei Klaviere als Solo, dann vergleichsweise normal mit großem Orchester und der ganzen Compagnie. Wir sprachen mit deren Chef. ___

___ INTERVIEW J. FLEISCHER/ P. KORFMACHER ___


___ Frage: Der "Sacre" ist ziemlich aggressive Musik. Sie sind bisher nicht so sehr als aggressiver Choreograph hervorgetreten. ___

___ Uwe Scholz: Eigentlich hat sich das die Waage gehalten. "Der wunderbare Mandarin" etwa war sehr aggressiv. "Dornröschen" eher nicht. Lassen Sie mich zum "Sacre" so viel sagen: Tütüs wird es nicht geben. ___


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Sondern? ___


___ Meine Arbeit wird einige erschrecken. Gerade unter meinen treuen Fans. Vor allem der erste Teil ... ___


___ ...in dem Giovanni di Palma allein auf der Bühne steht ... ___


___ ... wird so etwas wie ein Ballett-Theater mit Film- und Dia-Projektion, die in eine surrealistische Richtung gehen. ___

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___ 40 existenzielle Minuten als Solo - wie steht di Palma das durch? ___


___ Es geht körperlich an die Grenze des Möglichen. Aber ich gönne ihm auch Momente der Ruhe. Im Kontakt zwischen Bühne und Projektion entstehen Erinnerungen, Begegnungen, Reifungsprozesse. Ein Tänzerleben von der Ballettschule bis ins Heute. ___

___ Sein Tänzerleben oder das Ihre? ___


___ Diese Frage ist eigentlich nicht erlaubt. Aber ein paar autobiographische Züge gibt es natürlich schon. ___


___ Sie sagen, jedes Ihrer Ballette sei Handlungsballett, auch die Sinfonien, die geistlichen Werke. Nun haben Sie wirklich ein Handlungsballett, wie gehen Sie damit um? ___


___ Ich zeige ein Menschenschicksal. Jedenfalls im ersten Teil. Im zweiten, der Version mit Corps de Ballet und großem Orchester, versuche ich wieder eine konzertante Choreographie, eine Übersetzung der Musik in Tanz. Aber das ist extrem schwierig, weil man bei dieser enormen Partitur immer wieder ausdünnen muss: Was ist wichtig. Was ist tanzbar. ___

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___ Sie arbeiten in der Vorbereitung mit CDs. Auf welche "Sacre"-Einspielung greifen Sie zurück? ___


___ Angefangen habe ich mit Pierre Boulez. Der ist extrem transparent und klar. Dann bin ich zu Leonard Bernstein und dem Israel Philharmonic Orchestra umgeschwenkt. ___


___ Warum? ___


___ Bernstein betont mehr die Emotion als die Konstruktion, setzt mehr auf Linie als auf Rhythmus. ___


___ Die Fassung für zwei Klaviere ist fast Schlagzeugmusik - suchen Sie den Gegensatz? ___


___ Es geht um zwei Sichtweisen der Opfer-Problematik - und um zwei musikalische Sichten. ___

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___ Wie lange sind Sie mit diesem Doppel-"Sacre" schwanger gegangen? ___


___ Lange. Sehr lange. ___


___ Sind Sie jetzt zufrieden mit dem Ergebnis? ___


___ Es ist ein Knoten geplatzt, die Krise ist überwunden. Die Arbeit läuft gut, die Atmosphäre am Haus ist gut, es geht mir gut und gut voran. ___


___ Der "Sacre" ist eine der schwersten Orchester-Partituren überhaupt. Wie wird das mit dem Gewandhausorchester funktionieren? ___


___ Sorgen mache ich mir immer - und oft haben sie sich hinterher als sehr berechtigt erwiesen. ___


___ Wie viele Tänzer werden wir auf der Bühne sehen? ___


___ Alle eigentlich. Dazu 16 Ballettschülerinnen. Also 56 Tänzer plus Giovanni. ___

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___ Wie steht es im Moment um die Ballettschule der Oper Leipzig? ___


___ Wie gesagt, 16 Schülerinnen der Oberstufe stehen im "Sacre" auf der Bühne. Das ist doch schon mal ein schönes Zeichen. Ansonsten gibt es viele Gespräche, viele Vorschläge, viele Treffen - und viele Probleme. ___


___ Aber es führt kein Weg an einer Überführung in eine private Trägerschaft vorbei? ___


___ So sieht es aus. Wenn sich bis 2005/06 kein privater Träger gefunden hat, wird die Schule geschlossen. ___


___ Das hat der Stadtrat so nie beschlossen. ___


___ Ist aber trotzdem so. Und es wäre eine Katastrophe: In bis zu 14 Produktionen pro Spielzeit stehen Schüler auf der Bühne. ___


___ Viele Leipziger waren überrascht, dass die Oper sich ein großes Ballett gönnt und dann bei "Pariser Leben" das MDR-Fernsehballett über die Bühne wirbelte. ___


___ Es stand nie zur Debatte, dass wir das machen. Und es wäre auch gar nicht gegangen. Wenn Sie sich diese Cancans, die Spagate, die Akrobatik anschauen - das ist etwas ganz anderes, als das, was ein klassischer Balletttänzer in seiner Ausbildung mitbekommt. Es ist nicht besser oder schlechter, es ist anders. Und wenn meine Tänzer dies versucht hätten, wäre das Verletzungsrisiko unverantwortlich hoch gewesen. ___

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___ Sie gehen demnächst mit ihrer unvollendeten Bruckner 8 auf Tournee. Und tanzen zur Konserve - werden die Menschen dann zur CD in den letzten zehn Minuten eine leere Bühne sehen? ___


___ Nein. Natürlich mache ich diese Arbeit nun fertig, direkt nach dem "Sacre". Wie bereits gesagt: Im Moment läuft es gut. Auch wenn mein Terminkalender kraftmäßig eher auf Supermann getrimmt ist. Es laufen Vorbereitungen zu Produktionen in ganz Europa. In Düsseldorf, Dresden, Toulouse, Lodz, Tokio, Lissabon. ___


___ Gibt es schon Anfragen, den "Sacre" zu übernehmen? ___


___ Erst eine aus Dänemark. Die anderen Intendanten wollen wohl zuerst einmal sehen, ob ich wirklich noch lebe. ___


LEIPZIGER VOLKSZEITUNG, 14. Februar 2003


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